Jetzt steht Abstandhalten an
Kriftel: WGS nach Corona-Sperrung wieder geöffnet
Schon von weitem zeigt die sonst vertraute Weingartenschule in Kriftel ein anderes Gesicht. Rotweiße Absperrbänder flattern im Wind. Die kennt man sonst nur von einer Tatortabsperrung. Hier sollen sie Besucher von dem Schulgelände fernhalten.
Nichts ist eben normal in diesen Krisenzeiten. Der Sound des Alltags fehlt komplett. Kein Schreien, Rufen Lachen, Gejohle – nichts von alledem. Das Grundrauschen der Schule ist im Augenblick abgestellt. Keine Schülerinnen und Schüler – nirgends. Man hört und sieht sie nicht. Dabei sind seit Montag vor einer Woche wieder welche da. Aber eben nur 33 aus dem Hauptschulzweig und 68 aus dem Realschulzweig von der sonst 850 Kinder zählenden Schülerschaft. Sie werden Ihren Abschluss dieses Jahr machen und dürfen zwecks Prüfungsvorbereitung kommen. Zwölf der um die 16 Jahre alten Prüflinge der R10b sitzen am Donnerstagvormittag in Raum 220 und folgen den mathematischen Ausführungen von Dr. Christoph Richter, Realschulzweigleiter und Mathelehrer. Natürlich mit dem geforderten Abstand von zwei Metern, wie sie der Situation und dem hessischen Hygieneplan entsprechen. Hinten an der Wand des Klassenzimmers prangt groß und deutlich ein programmtischer Spruch an der Wand: Together Everyone Achives More – Zusammen erreicht jeder mehr! Die hervorgehobenen Anfangsbuchstaben ergeben das Wort TEAM.
https://weingartenschule.de/58f75160-9496-46d2-9897-3a546b7dee07″ />Ein Imperativ, der mittlerweile aus der Zeit gefallen ist. Denn Teamarbeit in Gruppen wird es in den Schulen nicht mehr so schnell geben. Das finden nicht alle Jugendlichen schlecht: „So kann ich mich stärker auf den Lehrer und den Stoff konzentrieren“, erklärt Laura auf Nachfrage und ihre Mitschülerin Malea ergänzt: „Ich vermisse die Gruppen nicht. So bin ich viel fokussierter auf die Inhalte“.
Regeln einhalten
Der gute alte Frontalunterricht feiert in diesen Zeiten seine Wiederauferstehung. Denn der Mindestabstand ist einzuhalten. Das steht nicht nur auf den eigens von der Schulleitung entworfenen Buttons. Aber funktioniert das denn auch?
„In der Schule von Anfang an“, bestätigt kommissarische Schulleiterin Elke Wetterau-Bein. „Im Vorfeld haben unsere Hausmeister dafür gesorgt, dass in den Räumen die Tische und Stühle den richtigen Abstand haben und dass genug Seife und Papierhandtücher vorhanden sind“. Sie habe am Wochenanfang jeden einzelnen Schüler in angemessenem Abstand am Eingang persönlich begrüßt. Alle hätten sich diszipliniert und vorbildlich verhalten und auf den vorher aufgemalten Stellkreuzen mit ihren Masken gewartet, bis sie einzeln eingelassen wurden. „Wir waren bestens vorbereitet“, führt Wetterau-Bein weiter aus, „unsere Schule hat in jedem Klassenraum ein Waschbecken und die Hausmeister hätten Einzelhandtuchspender installiert. Am Montag hatten zwei Lehrer als Eingangskontrolle am Haupteingang gestanden. In dem gebotenen Abstand durften die Schüler die Schule betreten, zu ihren Räumen gehen und nach dem Händewaschen ihren Sitzplatz einnehmen. Mittlerweile habe sich dieses Prozedere schon eingespielt. Auch die Pausen seien gut geregelt. Jede Klasse habe zu festen Zeiten eine Aufsichtskraft, die dann auch wieder für die geordnete Rückkehr in den Unterrichtsraum sorgt. Es dürften nur jeweils 15 Jugendliche zur gleichen Zeit mit Gesichtsmaske auf den Hof. Eine Lehrkraft führe Aufsicht. Bislang habe alles tadellos funktioniert, resümiert die Schulleiterin.
Geteilte Meinungen
Obwohl, das mit den Masken sei nicht so einfach gewesen, weiß Schülerin Anna zu berichten. Es sähe schon seltsam aus und so richtig gut Luft bekäme sie auch nicht. Die Situation verlange es halt, gibt sich Antonia einsichtig und sieht sonst in der speziellen Schulsituation auch Vorteile: „Wir sind wenige, haben weniger Fächer und werden besser, die Stimmung ist entspannt“. Das bestätigt auch Dr. Richter: „Es ist für diese Abschlussklassen gut, dass sie sich auf die Hauptfächer konzentrieren können“. Die Leistungsbereitschaft steigere sich deutlich und die Prüflinge hätten mehr davon, prophezeit der Leiter des Realschulzweiges.
Man werde auch weniger abgelenkt, stimmt Anna zu. Weniger Schüler hieße eben auch weniger Lärm und weniger Stress“. Diese Meinung teilen aber nicht unbedingt alle in der geteilten R10B. Vier Schüler haben die Schule zu Hause sogar genossen. Schüler Abdez spricht stellvertretend für die Gruppe: „Zu Hause war es besser, da konnten wir uns die Zeit selbst einteilen“, lautet seine Einschätzung. „Es ist jetzt auch komisch jeden Tag in der Schule mit dem ständigen Abstandhalten“, meint Elias. Daheim könne er sich freier bewegen. Dass die Weingartenschule sich anders als viele andere Schulen dazu entschlossen hat, die Abschlussklassen jeden Tag zu unterrichten, hält Dr. Richter für einen Vorteil: „So bleiben sie bis zu ihrem Abschluss ohne Unterbrechung dabei“. Eigentlich alle haben sich sehr auf ihre Schule gefreut. Da gehöre man doch irgendwie hin, lautet der Tenor der meisten Anwesenden.
Lebenstipps frei Haus
Für alle Kinder, die noch Hause bleiben müssen und sich dort einsam oder unwohl fühlten, hat Schulsozialarbeiterin Viola Schaade ein offenes Ohr. „Problemfälle sind bekannt und werden nicht allein gelassen“, betont sie. Telefonisch oder per Mail hake sie nach, gebe sogenannte „Lebenstipps“ an die Betreffenden. Es sei gut für die Kinder zu wissen, dass sie jemand auch außerhalb der Lehrerschaft anspräche.
Solidarität hilft
Schulleiterin Wetterau- Bein zeigt sich generell von ihrem Lehrerkollegium in Krisenzeiten sehr angetan. „Die Kolleginnen und Kollegen haben mich beeindruckt“, gibt sie unumwunden zu. “30 von ihnen stehen für die Notfallbetreuung zur Verfügung. Auch viele Kollegen, die zur Risikogruppe gehören, kämen freiwillig und gerne. Sie kann sich auf ihr Schulleitungsteam und ihre Kollegen verlassen. „Diese Verlässlichkeit hilft uns als Schulgemeinschaft, diese seltsame Zeit durchzustehen.“ Solidarität macht uns als Schule stark. „Wir alle wünschen uns unseren normalen Schulalltag wieder zurück“. „Wenn das noch lange dauert, wird es stressig“ meint Julie. Die Schüler möchten endlich wieder zusammen lachen, sich abklatschen, umarmen, auch mal trösten, zusammen rappen oder tanzen. Das wird dauern. Bis dahin steht Abstandhalten an.