Ein inspirierender Vortrag von Historiker Mario Becker an der Weingartenschule
Sie sind hellwach und sie sind skeptisch, die jungen Gesichter der Lateiner der Klassen 7 bis 10 der Weingartenschule. Rund 70 Gymnasiasten strömen in die vertraute Aula der Schule. Heute gibt es keinen normalen Lateinunterricht in der 5. und 6. Stunde. Was wird stattdessen hier passieren? Gymnasialzweigleiterin Nicola van de Loo hat verheißungsvolle Andeutungen gemacht und einen spannenden Vortrag über die Sprache und Kultur der alten Römer für diesen Dienstag im Februar angekündigt.
Geschichte anfassbar
Alle finden ihren Platz, der Lärm ebbt ab und weicht gespannter Erwartung. Neugierig schauen die Kinder und jungen Erwachsenen auf die Bühne. Da sind schon aufmerksamkeitsheischend einige Gegenstände und Utensilien aufgebaut: ein Kettenhemd und ein römischer Gladiatorenhelm, ein Speer, ein Schwert, ein Schild, Stoffballen und Hygieneartikel. Auf der Leinwand flimmert ein Standbild von der Wölfin, die Romulus und Remus säugte. Bevor der agile Geschichtsdozent Mario Becker das Wort ergreift, werden die Objekte begutachtet. Einiges kommt dem jungen Auditorium sicherlich aus dem Latein- und Geschichtsunterricht vertraut vor. Aber was dann folgt, ist sicher mehr, als sie erwartet haben.
Über SPQR zu SMS
Denn den wirklich anregenden und unterhaltsamen Vortrag von Mario Becker, ehemaliger Museumspädagoge der Saalburg und Dozent für Geschichte und Archäologie an der Uni Frankfurt, werden sie nicht so schnell vergessen.
Becker nimmt seine Zuhörer mit auf eine faszinierende bilderreiche Zeitreise und lässt sie eintauchen in die römische Welt. Er steht dabei keine Minute still und schlägt überraschende Verbindungen zu unserer modernen Welt – von Augustus zu Trump, vom Kapitol in Rom zum Kapitol in Washington, von römischen Katapulten zum italienischen Maler Michelangelo, von der römischen res publica zu unserer Bundesrepublik, vom opus caementicium zu unserem Zement, von den Trajansmärkten zu unseren Shoppingmalls, von typischen römischen Abkürzungen zum Schreiben einer modernen SMS. Da gibt es viel Unerhörtes, das der Vortragende den Jugendlichen in lebhafter Manier zu sagen hat. Die nächsten 1,5 Stunden werden sie aus dem Staunen nicht herauskommen und erkennen, wie stark die Römer uns heute noch beeinflussen, wie sehr diese doch so versunkene antike Welt heute noch nachwirkt.
Alexander, Hannibal und Pompeij
In einem rasanten Schnelldurchlauf durch unser europäisches Sprach- und Kulturgut streift Becker durch Architektur, Technik, Religion, Medizin, Militär und die beispiellose Expansionspolitik der Römer und spickt seinen Vortrag mit interessanten Daten, Fakten und Biographien großer Persönlichkeiten. Er erzählt von Alexander dem Großen und von Hannibal, dem Feldherrn Gaius Julius Cäsar und von Kaiser Augustus. Von nahezu 250.000 km Straßennetz und von mehr als 1.000 Städten im Imperium Romanum. Londinium, Lutetia Pariserorum, Vindobona, Bonna, Ancyra – die Schüler erkennen die heutigen Städte in den lateinischen Namen. Er kleidet die Schülerinnen und Schüler in römische Gewänder und ruft lateinische Soldatenbefehle. Und er erzählt von den vier tragenden Säulen, die unsere heutige Europäische Union ebenfalls in ihrer Agenda anstrebt: ein Bürgerrecht, eine Währung, eine Amtssprache und die Möglichkeit, innerhalb stabiler Grenzen die Religion auszuüben, die man für sich wünscht.
Zum Schluss gibt’s noch einen kurzen Abstecher in die römische Stadt Pompeij und den Tag der Apokalypse, als der Vesuv im Jahr 79 n.Chr. ausbrach. Und dazu ein Schlaglicht auf die Wissenschaft Archäologie: wie nämlich durch Ausgrabungen in der verschütteten Stadt das Alltagsleben der Römer rekonstruiert und verstanden werden kann.
Latein als Ticket
Die Bedeutung der lateinischen Sprache und Kultur als Grundlage europäischer Sprachen und europäischer Kultur ist präsent und sehr anschaulich geworden. „Knackst du eine Lateinvokabel, knackst du sie in allen romanischen Sprachen“, schwärmt Becker. Die Gymnasiasten sind gebannt, beeindruckt und offensichtlich inspiriert. In der abschließenden Fragerunde äußert der eine oder andere sogar Interesse daran, Geschichte oder Archäologie zu studieren. Und einige haben sich doch tatsächlich noch am selben Tag Cäsars Bellum Gallicum im lateinischen Original als „Eintrittskarte“ in eine Welt voller Abenteuer bestellt.