Die Initiative WGStart 21 will Schüler in eine Ausbildung bringen
Die Papageien sind an diesem Morgen schon einmal in bester Stimmung. Und gut bei Stimme sind sie auch. In unregelmäßigen Abstanden stoßen sie ihr charakteristisches Kreischen aus. Hier im eigentlich wegen Corona geschlossenen Cafe im Krifteler Gartencenter Tropica sitzen am Mittwochmorgen Geschäftsführer Oliver Prusko, Meisterin Jessica Dörr und unser Realschulzweigleiter Dr. Christoph Richter vor ihren Laptops. Sie haben hier zusammengefunden, um eine neue Initiative der Weingartenschule – den WGStart 21 – mit Leben zu füllen. Das heißt, Abschlussschülerinnen und -schüler der 10. Klassen in eine Ausbildung zu bringen und ihnen zu einem guten Start ins Berufsleben zu verhelfen.
Antworten geben
„Das ist jetzt wichtiger denn je“, erklärt Dr. Richter. „Corona hat das Leben von uns allen komplett auf den Kopf gestellt.“ Schulen und Ausbildungsunternehmen fänden zwar allmählich zu einer neuen Normalität zurück, die Fragen der Jugendlichen aber blieben: Wie finde ich in dieser schweren Zeit einen Ausbildungsplatz? Wie bewerbe ich mich am besten? Wie läuft die Ausbildung in Zeiten von Corona ab? Darauf will WGStart 21 Antworten geben. Denn zu einer generellen Unlust der Abschlussschüler, sich auf eine Ausbildung einzulassen, kämen jetzt Corona-bedingte Besonderheiten dazu. „Wir müssen was tun“, fordert auch Oliver Prusko, dessen Betrieb zwei Ausbildungsplätze zum Einzelhandelskaufmann/frau anbietet. Denn
Corona hat die Ausbildung in vielen Branchen deutlich erschwert. Durch die Lockdowns mussten viele Unternehmen schließen, der betriebliche Alltag konnte nicht in gewohnter Form weitergehen. Viele junge Leute würden Gefahr laufen, die Schule in diesem Jahr ohne berufliche Perspektive zu beenden. Schon jetzt würden sich negative Auswirkungen der Krise auf dem Lehrstellenmarkt zeigen, ist von Dr. Frank Martin, Leiter der Regionaldirektion Hessen, zu vernehmen. „Wir haben einen deutlichen Rückgang sowohl bei den Bewerbern als auch bei den gemeldeten Lehrstellen“, berichtete er schon im Januar bei der Vorstellung der Arbeitsmarktzahlen. Ein Krisenszenario, dem entgegengearbeitet werden müsse, ist Dr. Richter überzeugt. Denn natürlich könne man sich auch während der Coronakrise für eine Ausbildung bewerben. Klassische Bewerbungsgespräche seien zwar nach wie vor schwierig, aber in Zeiten von Online-Bewerbung und Videointerviews bekomme man das geregelt.
Fragen stellen
Folgerichtig sind an diesem Morgen 52 Schülerinnen und Schüler der WGS-Abschlussklassen virtuell eingeladen, Fragen an die drei Ansprechpartner zu stellen. Meisterin Dörr präsentiert Tropica per Videokamera in einem Rundgang. Geschäftsführer Prusko erklärt zunächst das Unternehmen. Als besonders positiv seien das familiäre Umfeld mit allzeit hilfsbereiten und ansprechbaren Kollegen und die hohe Eigenverantwortung hervorzuheben. Der Schwerpunkt der Ausbildung liege bei der Kundenberatung und dem Verkauf und eben nicht im „gärtnern“. „Es existiert ein völlig falsches Bild in der Öffentlichkeit“, beklagt er. Auf die Frage von Schülerin Dilan, welche Fächer denn wichtig seien, gibt es dann auch eine für viele Zuhörer verblüffende Antwort. Heutzutage seien gute Kenntnisse in Mathe genauso wichtig wie die Liebe zu Pflanzen.
Bei Bestellungen gehe es nun mal viel um Zahlen. „Ein Gärtner, der nicht rechnen kann, wird bald pleite sein“, lautet Pruskos Ansage. Stille im Chat. Dann folgen weitere Fragen der Jugendlichen. Wie viel Geld man denn verdiene? Ob man die Pflanzen selber ziehe, fragt Ann-Kathrin. Tanja möchte wissen, wie lange die Ausbildung dauert, Jasmin, ob man sie auch verkürzen könne. Arbeitszeiten, Urlaubsdauer, besondere Fähigkeiten werden abgefragt. Interesse ist da, Oliver Prusko antwortet auf alles. Doch er fordert die Jugendlichen auch dringend auf vorbeizukommen. „Macht euch selbst ein Bild“, lädt er sie ein, „aber kümmert euch darum, und zwar rechtzeitig.“
Aktiv werden
Lehrjahre sind keine Herrenjahre, hieß es früher einmal. Instagram-tauglich sind sie vielleicht auch heute nicht. Als die Fragestunde mit den Jugendlichen vorbei ist, geht die Diskussion weiter. „Wie kann ich die jungen Leute nachhaltig für eine Lehre begeistern?“, stellt Dr. Richter die Gretchenfrage. Keine leichte Aufgabe, da sind sich alle einig. Woher die Scheu, sich für eine Lehre zu engagieren, bei vielen käme, wird gerätselt. Vielleicht an der Wunschvorstellung vieler Eltern, die ihre Kinder unbedingt studieren lassen wollen. „Da wird manchem Kind das Fachabitur aufgedrückt, damit sie anschließend rumstudieren, obwohl sie es eigentlich gar nicht wollen“, seufzt Dr. Richter. „Wie oft musste ich hören, dass Schüler keine Lust mehr auf Schule haben und mit denkbar knapper Eignung plötzlich doch zwei bis drei Jahre mehr machen“. Der Selbstständigkeit und dem Selbstvertrauen der jungen Leute helfe das nicht unbedingt. „Irgendwann haben wir dann keine Fachkräfte und Handwerker mehr“, prophezeit Oliver Prusko. Dabei lohne sich der Einsatz. „Als Einzelhandelskaufmann/frau kannst du bis zu 4000€ verdienen“, weiß Meisterin Jessica Dörr, die selbst gerne praktisch arbeitet.
Fortsetzung folgt
Die Reihe WGStart 21 war schon erfolgreich mit der Vorstellung des Krifteler Unternehmens AR Packaging gestartet. Melvyn Irmer, Abteilungsleiter Logistik, hatte mit Dr. Richter erst vor zwei Wochen Abschlussklassen Rede und Antwort gestanden. Irmer hatte seine Firma präsentiert und fünf Ausbildungsprofile erläutert.
Erfolgreich, wie er betont. Das Interesse sei da, man müsse nur Interessierte und Anbieter zusammenbringen. Man rede miteinander, vergleiche Vorstellungen, begeistere und motiviere. Genau das hat die Initiative WGStart 21 von der Weingartenschule weiter vor. Die ersten Schritte sind getan. Die Richtung stimmt. Das reflektieren die Stimmen aus den Reihen der Schülerschaft. Hannah zum Beispiel fasst das Erlebte so zusammen: “Wir haben durch die online Vorstellungen viel über Betriebe in Kriftel erfahren, was uns so gar nicht bewusst war“. Angeleitet vor Ort bekäme man einfach mehr Lust auf eine Lehre, auch virtuell. Mitschüler Leon ergänzt: „So tiefe Einblicke in so verschiedene Betriebe zu bekommen, ist in diesen Zeiten super. Mir wurden viele Fragen beantwortet, die bei der Berufswahl weiterhelfen“, resümiert er stellvertretend für die Abschlussklassen.
Dass den Worten nun Taten folgen, hofft Realschulzweigleiter Dr. Richter. Weitere Firmenvorstellungen hat er schon am Start.
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